Ökonom Sinn rechnet nach Euro-Gipfel mit Bundesregierung ab

Der Ökonom Hans-Werner Sinn geht nach dem Euro-Gipfel mit der Bundesregierung hart ins Gericht.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - "Deutschland hat seine wichtigsten Positionen im europäischen Verteilungsstreit aufgegeben und sich mit einer Sozialisierung der Haftung für die Staatsschulden einverstanden erklärt", sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts in einem Interview mit der "Welt" (Montagsausgabe). Die Beschlüsse trügen nicht zur Stabilisierung der Lage bei. "Wenn etwas die finanzielle Stabilität der Euro-Zone gefährdet, dann sind es die neuen Programme zu einem Schuldensozialismus in Europa, denn wir schaffen die Möglichkeit für neue Ansteckungswege über die Staatsbudgets", sagte Sinn.

Je wohlwollender die Finanzmärkte die Beschlüsse aufnähmen, desto mehr Sorgen müssten sich die deutschen Steuerzahler und Rentner machen. "Das Geld, über das sich die Gläubiger der Schuldenstaaten freuen, wird den Steuerzahlern mit genau der Wahrscheinlichkeit weggenommen werden, mit der es den Finanzanlegern zufließt, denn leider hilft der liebe Gott hier nicht mit Zuschüssen aus", sagte Sinn. "Müssten Steuerzahler und Rentner jetzt schon verzichten und nicht erst später, wenn die neuen Garantien und Staatsschulden fällig werden, würden sie das alles nicht akzeptieren."

Kritik übte Sinn auch an der Beteiligung der Banken an dem griechischen Rettungspaket. Dass Banken bis zu 80 Prozent des Nennwertes der Staatspapiere erhalten sollten, obwohl diese an den Märkten kaum mehr als 50 Prozent wert seien, hält Sinn nicht für vertretbar. "Es beruhigt mich auch überhaupt nicht, dass man die Wertsteigerung, die man damit für die Banken erzeugt, als Bankenbeteiligung bezeichnet. Auch das ist bloß eine semantische Umdeutung der Wahrheit. Ich wünschte mir mehr Klarheit und Aufrichtigkeit von den Führern Europas", sagte Sinn. Die Steuerzahler und Rentner hätten mit der Griechenland-Rettung eigentlich nichts zu tun.

"Sie werden aber wie selbstverständlich mit zur Kasse gebeten, indem sie neue Schulden und Garantien in riesigem Umfang akzeptieren müssen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu ihren Lasten gehen werden." Die Gipfelbeschlüsse hätten zudem nichts an dem Problem geändert, dass Griechenland nicht wettbewerbsfähig sei. Dazu müsse die Volkswirtschaft um bis zu 30 Prozent billiger werden. "Die innere Abwertung würde das Land freilich an den Rand des Bürgerkriegs führen wie Deutschland von 1929 bis 1933. Diesen Weg sollte man Griechenland ersparen", sagte Sinn. "Unter allen Optionen, die Griechenland hat, ist ein Austritt das kleinere Übel. Es gibt ein kurzes Gewitter, und nach einem halben Jahr scheint wieder die Sonne." Auf die Kritik von Notenbankern, im Falle eines Euro-Austritts drohe in Griechenland eine humanitäre Katastrophe, sagte Sinn, eine humanitäre Katastrophe sei viel wahrscheinlicher, wenn man Griechenland zwinge, durch Preis- und Lohnkürzung wettbewerbsfähig zu werden. "Das bedeutet zehn Jahre Siechtum und Massenarbeitslosigkeit, wenn nicht Schlimmeres. Und die Banken sind so oder so pleite, wie es auch der griechische Staat schon ist."

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 24.07.2011

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