DIW-Konjunkturexperte fordert Umdenken der Politik in Euro-Krise

Der Leiter der Konjunkturabteilung im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Christian Dreger, hat die Politik zu einem Umdenken in der Bewältigung der Euro-Schuldenkrise aufgefordert.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - "Von der Politik sind bisher nur wenig überzeugende Ansätze zur Lösung der Schuldenkrise präsentiert worden. So sind die Wachstumsimpulse von konsolidierten Staatsfinanzen erst in der längeren Frist zu erwarten", sagte Dreger "Handelsblatt-Online". Kurzfristig dominierten die "negativen Effekte, die mit erheblichen realwirtschaftlichen Verwerfungen einhergehen können".

Außerdem würden viele Jahre benötigt, um konsolidierte Staatsfinanzen zu erreichen. Dies sei aber nicht ständig gegen den Widerstand breiter Teile der Bevölkerung vor allem in den Krisenländern machbar. Dreger fordert daher eine "abgestimmte Strategie" im Euro-Raum, die verstärkt von Maßnahmen zur kurzfristigen Ankurbelung des Wirtschaftswachstums begleitet werden sollten.

"Dazu gehört unter anderem eine Umlenkung von Strukturfonds-Mittel auf wachstumsrelevante Bereiche oder ein leichterer Zugang zu Krediten für Unternehmen in den Südländern", sagte der DIW-Ökonom. Nach Ansicht Dregers sollte insbesondere Deutschland bei der Lösung der Schuldenkrise in der Euro-Zone mehr Einsatz zeigen. "Deutschland sollte aktiv die Rolle einer Wachstumslokomotive für den Euro-Raum übernehmen und über eine steigende Nachfrage nach Importen zu einer wirtschaftlichen Stabilisierung in den Partnerstaaten beitragen", sagte er.

Zwar weise die aktuelle konjunkturelle Entwicklung in Deutschland in diese Richtung, weil der Konsum durch kräftige Lohnerhöhungen unterstützt werde. "Allerdings kann die Wirtschaftspolitik dazu beitragen, die derzeit noch gute Konjunktur weiter zu festigen, auch wenn dies eine langsamere Konsolidierung der Staatsfinanzen bedeutet." Dreger wies in diesem Zusammenhang auf die Konjunkturerwartungen deutscher Finanzexperten hin, die im Juni laut dem Indikator des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) so stark eingebrochen sind wie seit Oktober 1998 nicht mehr.

Er unterstrich zugleich, dass auch Deutschland von der Krise erfasst werden könnte, sofern man jetzt nicht gegensteuere. Der Rückgang im Index spiegle die aktuell hohe Unsicherheit in den Märkten. "Zu den fundamentalen Ursachen der Unsicherheit zählen nicht nur die kritische Lage des spanischen Bankensektors und die tiefe Krise in Griechenland, sondern auch zunehmend Sorgen um die deutsche Konjunktur, die sich nicht dauerhaft vom übrigen Euro-Raum abkoppeln kann", betonte der Ökonom. Auch nach Einschätzung des Konjunkturchefs des Münchner Ifo-Instituts, Kai Carstensen, ist die aus der Euro-Krise resultierende Unsicherheit derzeit groß und belaste auch die deutsche Konjunktur. So sei das Ifo-Geschäftsklima im Mai deutlich gesunken. "Dies deutet auf eine Konjunkturdelle im Sommerhalbjahr hin", sagte Carstensen. "Für Deutschland kommt es jetzt darauf an, seine Funktion als Stabilitätsanker des Euroraums zu verteidigen."

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 20.06.2012

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