EKD-Ratsvorsitzender Schneider sieht Probleme bei Arbeitsrecht

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, sieht gravierende Probleme beim Arbeitsrecht der evangelischen Diakonie.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - Im Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" (Mittwochausgabe) sagte Schneider: "Sie weisen beim Arbeitsrecht auf eine Wunde hin, und wenn Sie den Finger darauf legen, tut es weh." Schneider bezog sich damit auf die zunehmende Kritik, dass das besondere Arbeitsrecht des kirchlichen Wohlfahrtsverbands mit seinem Streikverbot und dem Postulat einer kooperativen "Dienstgemeinschaft" fragwürdig geworden ist, seit diakonische Träger Leiharbeiter beschäftigen und einzelne Arbeitsbereiche in privatgewerbliche Service-Gesellschaften mit niedrigerem Lohnniveau ausgründen. "Das lehnen wir ab", sagte Schneider.

"Ausgründungen sind eine Verletzung der Dienstgemeinschaft. Davon müssen wir wegkommen." Schneider kündigte an, entsprechende Veränderungen trotz der föderal zersplitterten Struktur des kirchlichen Wohlfahrtsverbandes durchsetzen zu wollen: "Wir haben in der Diakonie eine große Ausdifferenzierung sowohl in den Strukturen als auch im Tarifsystem. Das macht eine klare Ordnung nicht eben leichter, kann aber zum Beispiel dazu führen, dass diakonische Träger aus dem Tarifgebiet Berlin-Brandenburg, wo die Tarife niedriger liegen, plötzlich im Gebiet um Hannover in den Wettbewerb gehen, wo das Niveau höher liegt. Da kommt es dann zum innerevangelischen Konkurrieren. Das ist schwierig, das sind Verhältnisse, die wir ändern werden", sagte Schneider im Interview mit der Zeitung.

Über den Reformbedarf sei er sich "mit dem neuen Präsidenten des Diakonischen Werks der EKD, Johannes Stockmeier, völlig einig". Zugleich kritisierte Schneider die Gewerkschaft Ver.di, die den Protest gegen das kirchliche Arbeitsrecht derzeit verschärft. "Zwar können die Gewerkschaften in ihrem sehr aggressiven Vorgehen gegen uns auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit verweisen, aus dem sich das Streikrecht ableitet. Aber wir haben auch ein Grundrecht, nämlich die Religionsfreiheit, und damit das Recht, unsere Angelegenheiten selbst zu regeln und die Dienstgemeinschaft stark zu machen, die nicht nur Streiks ausschließt, sondern auch Aussperrungen." Die Gründe für die zunehmenden Probleme beim kirchlichen Arbeitsrecht liegen laut Schneider in den schlechten Refinanzierungsbedingungen des Gesundheits- und Pflegesystems. "Auf dem Sozialmarkt stellt sich die Frage, ob der Wettbewerb dort fair ist", sagte Schneider. Mit ihrer grundsätzlichen Verpflichtung, kirchliche Tarife zu zahlen, ständen diakonische Träger "nun oft vor einer existenzielle Entscheidung: Bleiben wir dem kirchlichen Tarif treu und gehen pleite, weil die Kostenerstattungen durch die Sozialkassen nicht reichen? Oder suchen wir Um- und Auswege?" Laut Schneider haben sich "die Wettbewerbsstrukturen auf den Sozialmärkten verselbständigt. Ursprünglich sollten sie die Effizienz der Wohlfahrtsverbände steigern und alten Schlendrian beenden. Das war nötig. Aber vor allem in der Altenpflege hatte der Wettbewerb auch den Effekt und möglicherweise das Ziel, das Qualitätsniveau und die Gehälter zu senken. Das ist schlimm sowohl gegenüber den Pflegebedürftigen als auch gegenüber den Menschen, die dort arbeiten." In dem Interview mit der "Welt" ging Schneider auch darauf ein, dass in der aktuellen Ausgabe der von der EKD finanzierten Zeitschrift "Chrismon" eine Passage aus dem neuen Buch "Unter Ketzern" des "Chrismon"-Chefredakteurs Arnd Brummer vorabgedruckt wurde. Über die deutliche Kritik am Katholizismus in dieser Passage hatte sich unlängst der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sehr verwundert gezeigt. Schneider nun sagte der Zeitung: "Was ich von dem Buch bisher wahrgenommen habe, hat einen stark konfessorischen Charakter. Arnd Brummer beschreibt seinen Weg sehr persönlich und emotional, woraus ersichtlich wird, dass es sich nicht um Aussagen unserer Kirche handelt. Die Freiheit zu solchen Urteilen muss es geben. Aber zugegeben, der Vorabdruck in ‚Chrismon’ drei Wochen vor dem Besuch des Papstes war ‚nicht hilfreich’."

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 14.09.2011

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