Ex-EU-Kommissionspräsident Prodi sieht Deutschland als Führungsmacht in Europa

Der frühere Präsident der EU-Kommission und ehemalige italienische Ministerpräsident Romano Prodi sieht Deutschland als Führungsmacht in Europa.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - In einem Gastbeitrag für die "Bild-Zeitung" (Montagausgabe) schreibt Prodi: "Deutsch­land und Eu­ro­pa ha­ben ei­ne ge­mein­sa­me Be­stim­mung: Ei­ne, die von Deutsch­land die Über­nah­me wahr­haf­ter Füh­rungs­ver­ant­wor­tung er­for­dert. Deutsch­land kann sich nicht von Eu­ro­pa los­sagen. Be­rühm­te Den­ker wie Goe­the, Kant und Schil­ler mach­ten einst Deutsch­land zum Vor­kämp­fer, als es dar­um ging, na­tio­na­le Iden­ti­tät, eu­ro­päi­sches Han­deln und welt­bür­ger­li­che Ver­ant­wor­tung mit­ein­an­der zu ver­ei­nen. Heu­te hat Deutsch­land die Auf­ga­be, sei­ne gro­ße Ver­gan­gen­heit als Vor­rei­ter auf­zu­grei­fen und Eu­ro­pa auf den Weg in ei­ne bes­se­re Zu­kunft zu füh­ren." Kritisch geht Prodi mit der Rolle Deutschlands in der Finanzkrise ins Gericht: "Wäh­rend der noch an­dau­ern­den Fi­nanz- und Wirt­schafts­kri­se ent­stand der Ein­druck, in Deutsch­land wer­de der be­rech­tig­te Stolz auf sei­ne wirt­schaft­li­che Leis­tung von ei­ner ge­wis­sen Selbst­ge­nüg­sam­keit ver­drängt", schreibt Prodi. "Wenn sich je­doch Ber­lin von sei­ner his­to­ri­schen Rol­le in Eu­ro­pa ver­ab­schie­det, wä­re dies das po­li­ti­sche En­de, so­wohl Eu­ro­pas als auch von Deutsch­land."

Anders als der italienische Ministerpräsident Mario Monti fürchtet Prodi kein Auseinanderbrechen Europas. Vielmehr sieht er die Lösung der Wirtschaftskrise in einem vereinten Europa: "Die Ar­gu­men­te für eine in­ten­si­vier­te Har­mo­ni­sie­rung der Haus­halts­po­li­tik und der wirtschafts­po­li­ti­schen Steue­rung lie­gen auf der Hand: So­wohl die Schuld­ner­län­der als auch die Gläu­bi­ger­län­der ha­ben ei­nen Teil ih­rer Sou­ve­rä­ni­tät auf­ge­ben müs­sen. Die mitt­ler­wei­le zwi­schen Ge­bern und Neh­mern üb­lich ge­wor­de­ne, kon­fron­ta­ti­ve Ar­gu­men­ta­ti­on zer­stört die eu­ro­päi­sche Idee in ih­ren Grund­mau­ern", so Prodi in seinem Gastbeitrag.

Die Lösungen "kön­nen je­den­falls nicht im Aus­ein­an­der­bre­chen Eu­ro­pas, in der Auf­tei­lung der Eu­ro-Zo­ne in zwei Be­rei­che oder in der Schaf­fung ei­nes `Kern-Eu­ro` un­ter Aus­schluss der schwä­che­ren Län­der be­ste­hen". Europa soll sich nach Ansicht des italienischen Politikers zu einer Föderation weiterentwickeln: "Deutsch­land muss sich klar äu­ßern, was mit der von ihm vor­ge­schla­ge­nen `po­li­ti­schen Uni­on` ge­meint ist; da­bei soll­te es al­le sei­ne Part­ner in Eu­ro­pa da­von über­zeu­gen, dass es sich wei­ter auf dem Weg des Fö­de­ra­lis­mus be­fin­det, und es muss ei­nen kla­ren Maß­nah­men­plan vor­le­gen, mit dem sich ein de­mo­kra­ti­sches, fö­de­ral struk­tu­rier­tes Eu­ro­pa er­rei­chen lässt." In seinem Gastbeitrag kommt Prodi zu dem Schluss: "Nur wenn sich die eu­ro­päi­schen Staa­ten un­ter deut­scher Füh­rung er­neut für die eu­ro­päi­sche Idee ein­set­zen, kön­nen wir das Miss­trau­en zwi­schen den Län­dern un­ter­ein­an­der und ge­gen­über Eu­ro­pa be­he­ben. Wir zah­len al­le ei­nen zu ho­hen Preis da­für, dass es kein po­li­ti­sches Eu­ro­pa gibt. Wir brau­chen nun ein star­kes En­ga­ge­ment hin zur po­li­ti­schen Uni­on, die trans­pa­rent und un­ter Be­tei­li­gung al­ler durch ein neu­es, ver­fas­sung­ge­ben­des Ver­fah­ren um­zu­set­zen ist."

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 05.08.2012

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