Genscher sieht "Spuren eines neuen Kalten Krieges" in Europa

Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hat die Bundesregierung dazu aufgerufen, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stärker als bisher zur Lösung der Ukraine-Krise zu nutzen.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - Es sei "eine überfällige Entscheidung und eine große Chance", dass Deutschland am 1. Januar den Vorsitz der OSZE übernehme, sagte Genscher der "Welt". "Deutschland war in der Vergangenheit der Motor des KSZE-Prozesses. Deutschland sollte heute den Ehrgeiz haben, diesen Motor, der jetzt OSZE heißt, neu anzuwerfen."

Zuletzt sei die Organisation von Deutschland und dem Westen generell vernachlässigt worden, sagte Genscher: "Die OSZE ist nicht ernst genommen worden, sie stieß auf Desinteresse. Das liegt nicht an der Institution, sondern an den Staaten, die das Instrument nicht genutzt haben." Mit Blick auf die Ukraine-Krise sei festzustellen: "Wir stehen mit leeren Händen da. Das politische Klima in Europa wird wieder und immer stärker von den Spuren eines neuen Kalten Krieges vergiftet." Genscher beklagte, dass der Westen nach dem Fall der Mauer den Schwerpunkt auf die Osterweiterung der Nato und der Europäischen Union gelegt habe. "Wir in Deutschland haben die Einheit gesehen, andere haben das Auseinanderfallen der Sowjetunion gesehen. Statt weiter an einer neuen, gemeinsamen Ordnung zu bauen, wurde der Schwerpunkt auf die Ausweitung der Nato und der EU gelegt. Die OSZE verfiel durch westliche Inaktivität in einen Dornröschenschlaf." Das zeige, dass viele Akteure das Konzept der Organisation nicht verstanden hätten.

Der Ex-Außenminister zeigte sich überzeugt, dass Russland an einer Wiederbelebung der OSZE mitwirken werde: "Ich bin sicher, dass auch Putin ein Interesse hat, seinem Land Wohlstand zu bringen." Der amtierende Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) werde "sehr viel Überzeugungsarbeit leisten müssen". Das aber sei nötig: "Eine Spannungslage duldet keine Ausreden, die Herausforderungen müssen angepackt werden, und Deutschland sollte den Vorsitz der OSZE nutzen, um die Charta von Paris wieder nach ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen."

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 31.12.2015

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