Gutachten: EZB-Krisenpolitik verstößt gegen EU-Grundrechtecharta

Die Europäische Zentralbank (EZB) verstößt mit ihrem sogenannten OMT-Programm (Outright Monetary Transactions), mit dem die Bank Staatsanleihen von Krisenstaaten ankaufen kann, möglicherweise gegen europäisches Recht und gegen die europäische Grundrechtecharta.

Frankfurt/Main (dts Nachrichtenagentur) - Zu diesem Ergebnis kommt laut "Handelsblatt-Online" ein Gutachten des Bielefelder Rechtswissenschaftlers Andreas Fisahn im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die EZB dürfe zwar nach dem Lissabon-Vertrag von 2009 die Wirtschaftspolitik der Europäischen Union (EU) und der Mitgliedstaaten unterstützen. Der Ankauf von Staatsanleihen sei jedoch im OMT-Programm an eine "strikte Konditionalität" gebunden.

Das bedeute, dass Staatsanleihen nur gekauft werden, wenn der Staat ein Memorandum of Understanding (MoU), also Kürzungsprogramme, mit der Troika der internationalen Geldgeber aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und EZB vereinbart habe. "Damit unterstützt die EZB nicht die Wirtschaftspolitik der Union und der Mitgliedstaaten, sondern die Wirtschaftspolitik des (dauerhaften Euro-Rettungsschirms) ESM, einer Institution außerhalb der EU-Verträge", heißt es in der Studie. Aus Fisahns Sicht hat die EZB mit der Bedingung, dass Staatsanleihen nur gekauft würden, wenn ein MoU vereinbart wurde, ein "Anreizprogramm" aufgelegt, das zu einer "indirekten Steuerung und Lenkung der Wirtschaftspolitik" in den betroffenen Mitgliedstaaten führe.

"Das gehört nicht zur Kompetenz der EZB." Vor allem seien mit den "Anpassungsprogrammen" des MoU regelmäßig "Reformmaßnahmen" in den Hilfe beantragenden Staaten verbunden, die sogar außerhalb des Kompetenzbereichs der EU liegen. Die "Reformprogramme", so der Jurist Fisahn, beträfen nicht nur die Organisation des öffentlichen Dienstes oder der Infrastruktur und der Daseinsvorsorge, sondern enthielten auch Vorgaben im Bereich der Löhne, also der Tarifverträge, in Form von Lohnsenkungen, im Bereich der sozialen Sicherungssysteme, der Bildungssysteme und der Organisation der öffentlichen Administration.

"Vorgaben in diesen Bereichen sind mit Blick auf die Kompetenzgrenzen der Union unzulässig, weil die Kompetenzen hier bei den Mitgliedstaaten verblieben sind." Die mit den "Anpassungsprogrammen" verfolgten Ziele verstoßen demnach auch gegen die in der europäischen Grundrechtecharta "normierten Rechte auf Kollektivverhandlungen und auf angemessenen Gesundheitsschutz". Die EZB sei, soweit sie als Organ der Union handle, an diese Grundrechte gebunden.

Das Recht auf Kollektivverhandlungen garantiere die Möglichkeit zu Tarifauseinandersetzungen. "Diese werden aber zu einer Farce, wenn ein Verhandlungspartner sich vorher gebunden hat und faktisch gebunden wird", heißt es in dem Gutachten.

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 19.05.2014

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