Ifo-Chef Sinn sieht finanzielle Stabilität Deutschlands durch Gipfelbeschlüsse gefährdet

Die Euro-Rettung ist durch den EU-Gipfel aus Sicht von Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn nicht vorangekommen – Deutschland werde aber zugleich immer stärker in die Krise hineingezogen.

Frankfurt (dts Nachrichtenagentur) - "Wall Street, die City of London und die Pariser Banken wurden gerettet. Wir stehen nun für die Rückzahlung der Schulden der südeuropäischen Banken ein", sagte der Ökonom dem "Handelsblatt" (Montagausgabe). "Der deutsche Staat wird immer tiefer in die südeuropäische Krise hineingezogen, und die Investoren aus aller Welt, die sich verspekuliert haben, können sich noch in letzter Minute aus dem Strudel befreien", sagte Sinn.

Die Finanzmärkte seien nun beruhigt, ja geradezu euphorisch, weil ein Weg gefunden wurde, das deutsche Vermögen zu verbrauchen. "Die finanzielle Stabilität Deutschlands ist indes gefährdet", warnte Sinn. Auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei vom Ausland mehr Druck ausgeübt worden, als je zuvor ein deutscher Kanzler nach dem Krieg habe aushalten müssen.

"Es wurde ein Kesseltreiben veranstaltet. Um an unser Geld zu kommen, hat man Deutschland imperiale Gelüste vorgeworfen und uns den Hass der Völker prophezeit", sagte Sinn. Dem Druck habe Merkel nicht mehr widerstehen können und sei eingeknickt.

"Jetzt können die Bürger, an deren Vermögen man will, nur noch auf das Verfassungsgericht hoffen." Dass Kredite, die der ESM vergibt, künftig nicht vorrangig, sondern gleichrangig bedient werden sollen, trägt laut Sinn zur Gefährdung bei. "Der Vorrang des Retters ist das Wesen einer jeden Konkursordnung", sagte er.

Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) helfe nur unter dieser Bedingung. Deutschlands Position sei es gewesen, die Rettung immer nur mit dem IWF und nach dessen Regeln zu organisieren. "Die Bedingung, dass wir nur Geld geben, wenn der IWF es tut, wurde schon im ESM-Vertrag gekippt." Nun sei auch noch die Bedingung gefallen, dass wir wenigstens nach den IWF-Regeln helfen. "Die europäischen Verträge veralten, bevor ihre Tinte getrocknet ist", kritisierte Sinn. Auch den Fiskalpakt sieht der Ökonom nicht als Schutz vor Vermögensverlusten: "Der Pakt wird nur in Deutschland ernst genommen", sagte der Ifo-Chef. "Er ist ein Placebo – wie seinerzeit der Stabilitäts- und Wachstumspakt". Ländern, denen der Kapitalmarkt misstraue, brauche man keine politischen Schuldengrenzen zu setzen. "Wenn man ihre Kreditaufnahme begrenzen will, reicht es, ihnen weniger öffentlichen Kredit zu geben."

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 01.07.2012

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