Ischinger kritisiert Berlins Türkei-Politik der als "Zickzackkurs"

Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat der Bundesregierung in der Türkei-Politik Unglaubwürdigkeit vorgeworfen: "Man darf keinen Zickzackkurs fahren. In der Türkei-Politik haben wir genau das getan", sagte Ischinger im Interview der "Welt". In der Außenpolitik müsse man "geradlinig bleiben, verlässlich, berechenbar", sagte der Diplomat. Stattdessen habe man Ankara erst eine Beitrittsperspektive angeboten, dann eine privilegierte Partnerschaft.

"Jetzt, wo wir sie wegen der Flüchtlingskrise brauchen, öffnen wir neue Verhandlungskapitel", sagte Ischinger. "Wir stünden glaubwürdiger da, wenn wir diese Volten nicht gemacht hätten." Den Flüchtlingsdeal mit Ankara verteidigte der Diplomat hingegen.

"Natürlich gibt das Erdogan Raum für Inszenierungen, wie wir sie derzeit erleben. Aber bis wir eine bessere Lösung finden, müssen wir diese zweitbeste akzeptieren", sagte Ischinger. Auf die Frage, ob ein ähnlicher Vertrag mit Libyen geschlossen werden sollte, sagte Ischinger: "Alles, was mit der neuen Regierung ausgehandelt werden kann, sollte man machen."

Dazu zählen für ihn auch Registrierungsstellen für Flüchtlinge in Libyen, die Asylanträge bearbeiten und gegebenenfalls abweisen können. "Wenn wir wollen, dass die Menschen nicht aufs Mittelmeer gehen, müssen wir Geld und Ideen investieren und Perspektiven vor Ort schaffen." Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz forderte darüber hinaus eine neue europäische Sicherheitsarchitektur.

"Wenn es ein Politikfeld gibt, wo sich die Bürger ein tatkräftigeres Europa wünschen, dann ist das die Sicherheit. Wir brauchen einen Befreiungsschlag, eine Offensive unter der Überschrift: Europa schafft Sicherheit", sagte der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz. Dazu seien innen- und außenpolitische Weichenstellungen erforderlich. So müsse aus der Polizeibehörde Europol ein europäisches FBI werden. Die Terroranschläge von Paris und Brüssel hätten gezeigt, wie unbefriedigend der Datenaustausch der Sicherheitsbehörden sei, sagte der Diplomat: "Warum haben wir eigentlich nicht den Mut, in dieser dramatischen Bedrohungslage ein europäisches FBI zu fordern? Wenn wir nicht jetzt aus der Datensammelstelle Europol eine schlagkräftige Polizei machen - worauf wollen wir denn noch warten?" Weiter sei eine "schlagkräftige und verlässliche Sicherung der Schengen-Außengrenzen" durch den Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex nötig. Schließlich brauche es "endlich mehr Tempo beim Auf- und Ausbau effektiver europäischer Verteidigungsstrukturen, ein Ende der Kleinstaaterei der Streitkräfte der 28", so Ischinger weiter.

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 18.04.2016

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