Kirchenrechtler kritisiert Benachteiligung christlicher Kreuze durch Kopftuch-Urteil

Der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hans Michael Heinig, sieht beim neuen Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Ungleichbehandlung von muslimischen Kopftüchern und christlichen Kreuzen.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - "Es ist widersprüchlich, wenn das Kreuz auf Wunsch von Schülern und Eltern zu weichen hat, aber das Kopftuch nicht", sagte er der "Welt". Heinig, Professor für Staats- und Kirchenrecht an der Universität Göttingen, stützt sich dabei auf einen Vergleich des sogenannten Kruzifix-Beschlusses von 1995 mit dem neuen Kopftuch-Urteil des Ersten Senats in Karlsruhe. "Der Erste Senat bewertet die Rechte der Schüler und Eltern auffallend anders als im sogenannten Kruzifix-Beschluss", sagte Heinig.

"Damals wurde gesagt, dass ein Kruzifix in der Schule geeignet sein könne, die negative Religionsfreiheit der Schüler, also ihr Recht auf Nicht-Behelligtwerden durch religiöse Symbole, zu verletzen. Jetzt aber heißt es, dass die negative Religionsfreiheit der Schüler nicht beeinträchtigt werde, wenn die Lehrerin ein Kopftuch trägt, weil die Begegnung mit religiösen Symbolen zum Alltag gehöre." Nach dem neuen Urteil werde ein Verbot des Kopftuchs nur "davon abhängig macht, dass der Schulfriede konkret gefährdet ist, es also eine aufgeheizte, die Erziehungsfunktion störende Situation geben muss, ehe eine Lehrerin ihr Kopftuch abzulegen hat. Grundrechte der Schüler oder Eltern sollen dabei keine Rolle spielen." Daraus folgt für Heinig: "Wer sich nachhaltig am Kopftuch stört, wird durch die Entscheidung im Grunde aufgefordert, sich selbst zu radikalisieren, um eine Störung des Schuldfriedens zu bewirken. Denn eine eigene Rechtsposition wird ihm nicht zugestanden."

Er hege daher, so Heinig, "Zweifel, ob es sich wirklich um eine kluge Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts handelt". Grundsätzlich jedoch hält Heinig es für richtig, Kopftücher nicht generell aus Schulen zu verbannen. "Generell ist zu begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht einem christlich-kulturalistischen Verfassungsverständnis eine Absage erteilt, bei dem eine zuvor fremde Religion wie der Islam mit seinen Symbolen weniger wohlwollend behandelt wird als das Christentum. Dass diese Ungleichbehandlung nun aufgegeben wird, ist richtig." Dies gelte "vor allem deshalb, weil nicht etwa alle Religionen in gleicher Weise aus den Schulen verbannt werden sollen, sondern genau umgekehrt gesagt wird, dass der Staat des Grundgesetzes offen ist für die Religionen seiner Bürger, auch seiner muslimischen Lehrerinnen". Dass diese Lehrerinnen nun "zu ihrem Glauben auch nach außen sichtbar stehen können", sei "eine begrüßenswerte Absage an den Laizismus", sagte Heinig der "Welt".

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 20.03.2015

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