Kritik an deutscher Russland-Politik nimmt zu

Der Streit über die deutsche Russland-Politik gewinnt an Schärfe: Unmittelbar vor dem am Donnerstag beginnenden Petersburger Dialog, dem wichtigsten Diskussionsforum von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beider Länder, äußerten sich mehrere Organisationen und Wirtschaftsvertreter verärgert, weil die Bundesregierung Verhandlungen über die Visafreiheit verschleppe, schreibt das "Handelsblatt" (Mittwochausgabe).

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - Als Reaktion auf die Berliner Zurückhaltung hat auch die russische Seite die Visa-Hürden für deutsche Besucher und Geschäftsleute erhöht. Die Vorsitzenden des Petersburger Dialogs und des deutsch-russischen Forums, der ehemalige DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière und der frühere deutsche Russland-Botschafter Ernst-Jörg von Studnitz, richten sich deshalb in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). In dem Schreiben, das dem "Handelsblatt" vorliegt, werfen sie Merkel vor, ihre Versprechen nicht eingehalten zu haben.

Merkel habe 2011 beim letzten Petersburger Dialog eingeräumt, dass Deutschland in der Frage der Visafreiheit "Bremser" sei. Sie habe versprochen, innerhalb eines Jahres eine Antwort zu geben. "Bis heute", so kritisieren de Maizière und von Studnitz, "können wir für deutsche und russische Bürger Erleichterungen beim Visaverfahren nicht feststellen".

Diese Visa-Schranken verursachten der Wirtschaft Schäden in dreistelliger Millionenhöhe und "unterlaufen alle guten Bemühungen der EU für eine aktive und demokratische Bürgergesellschaft in Russland". Bei der Suche nach Kompromisslösungen könne die Bundesregierung viel mehr tun, schreiben die beiden Autoren. Sie schlagen vor, einen verbindlichen Fahrplan für Gespräche aufzustellen und Visa-Erleichterungen wie eine Vorsprechpflicht nur "in Ausnahmefällen" vorzusehen.

In einem Interview mit der Zeitung kritisierte de Maizière zudem den Russland-Beauftragten der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU). Dieser hatte vor politischen Rückschlägen in Russland gewarnt und den Kurs von Präsident Putin kritisiert. De Maizière sagte, er wisse nicht, "ob Demokratie, wie wir sie haben, ein Exportartikel ist".

Auch gebe es viele Fortschritte im deutsch-russischen Verhältnis, "die Herr Schockenhoff offenbar nicht erkennen will". Weiter sagte de Maizière: "Ich glaube, dass meine Erfahrungen im Umgang mit Russland schon aufgrund meiner Biografie größer sind als die von Herrn Schockenhoff."

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 14.11.2012

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