Medizin-Ethiker für begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik

Vor der Bundestagsentscheidung über die Präimplantationsdiagnostik (PID) an diesem Donnerstag fordert der Transplantationsmediziner und Medizinethiker Eckhard Nagel eine begrenzte Zulassung des Verfahrens.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - Im Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" plädierte Nagel "für eine Zulassung in Situationen, in denen eine genetische Störung mit dem Leben nicht vereinbar ist, weil nach der Schwangerschaft und vielleicht noch nach den ersten Lebensmonaten keine Lebensperspektive besteht. In solchen Fällen ist eine entscheidende Grundlage unserer Definition von Mensch-Sein nicht gegeben, nämlich die, leben zu können. Leben kann da nicht geschützt werden, weil Leben schlussendlich nicht möglich ist", sagte Nagel, der Mitglied im Deutschen Ethikrat ist und evangelischer Präsident des Ökumenischen Kirchentages 2010 in München war.

Als Beispiel für genetische Störungen, bei denen eine PID zulässig sein solle, nannte Nagel in dem Interview Fälle, "wo das Chromosom 13 drei Mal vorliegt, sodass die Organe nicht so angelegt werden, wie es zum Leben erforderlich ist. Da und bei einigen anderen Störungen stirbt das Kind während der Entwicklungsphase oder spätestens bald nach der Geburt, ohne dass eine Behandlung möglich ist." Bei solchen Indikationen, von denen es laut Nagel "ungefähr zehn mit maximal 200 Fällen pro Jahr in Deutschland" gibt, solle es möglich sein, künstlich befruchtete Embryonen vor der Einsetzung in den Mutterleib auf jene Schädigungen hin zu untersuchen und gegebenenfalls zu verwerfen.

Nagels Vorschlag deckt sich im Prinzip mit dem Gruppenantrag der Abgeordneten René Röspel (SPD), Priska Hinz (Grüne) und des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU), wonach die PID nur zugelassen werden soll, wenn der Verdacht auf einen Gendefekt besteht, der zu einer Fehl- oder Totgeburt führt. Ursprünglich hatte diese Gruppe auch noch beim Verdacht auf ein Versterben des Kindes innerhalb des Lebensjahres die PID zulassen wollen, diese Erweiterung aber unlängst gestrichen. Nagel nannte diese Streichung "bedauerlich. Denn damit werden Indikationen ausgeschlossen, bei denen völlig klar ist, dass zwar manche Kinder noch lebend geboren werden, aber spätestens nach einem halben Jahr sterben. Gerade heute, da Kinder immer früher und unter schwierigsten Bedingungen noch zur Welt gebracht werden können, kann `Geburt` nicht das alles entscheidende Kriterium sein", sagte Nagel, der Medizinischer Direktor der Universitätsklinik Essen ist. Als Motiv hinter der Streichung vermutete Nagel "etwas, das ich an der gesamten Diskussion für problematisch halte. Nämlich eine permanente Sorge, man könne die Tür zu weit aufmachen. In dieser Sorge verlangt man, dass ganz exakte Aussagen getroffen werden sollen - hier `vor der Geburt` gegen `nach der Geburt` -, was aber in der Medizin nicht geht. In biologischen Kontexten gibt es immer Unschärferelationen. Die nicht zu akzeptieren, sondern zu sagen, bei jeder Unschärfe müsse das absolute Minimum gesucht werden, verrät Misstrauen gegenüber den handelnden Personen. Ihnen wird unterstellt, die ethischen Positionen eines Gesetzes nicht zu akzeptieren und immer bis an die Grenze des gerade noch Erlaubten gehen zu wollen." Entschieden wandte sich Nagel gegen ein vollständiges Verbot der PID: "Ein völliges Verbot wäre wirklich problematisch, weil es weit über den Bereich der PID hinaus eine Signalwirkung hätte. Nämlich die, dass der Gesetzgeber bei Unsicherheit so entscheidet, dass Betroffene allein zurückbleiben." An die Adresse der Verbotsbefürworter sagte Nagel: "Ich frage sie, was sie in jenen Fällen, von denen ich spreche, als Antwort für die Eltern parat haben. Das einzige Argument, das ich erkenne, ist der Lebensschutz. Aber das fällt ja weg, da es nach meinem Vorschlag nur um Kinder gehen soll, die gar nicht leben können. Ich sehe nicht, mit welchem Argument man den Eltern die Geburt eines nicht lebensfähigen Embryos zumuten sollte."

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 05.07.2011

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