Polnischer Historiker kritisiert Idee eines Vertrieben-Gedenktages

Als "Rückfall in Zeiten des Kalten Kriegs" kritisiert der polnische Historiker Krzysztof Ruchniewicz in einem Gastkommentar für die "Frankfurter Rundschau" die Idee, den 5. August zum bundesweiten Gedenktag für die Opfer der Vertreibung zu erklären.

Frankfurt/Main (dts Nachrichtenagentur) - Auf Antrag von CDU/CSU- und FDP-Abgeordneten soll der deutsche Bundestag am 10. Februar darüber entscheiden. Ruchniewicz bezeichnet die Forderung nach einem weiteren Gedenkort und einem Vertreibungs-Gedenktag "allein für die deutschen Opfer" als "selektiv". Damit werde "die Kriegszeit mit den deutschen Massenverbrechen an der Zivilbevölkerung des Ostens" völlig ausgeblendet.

Ein weiterer Gedenkort wäre nur sinnvoll, "wenn er auch den Millionen von den Deutschen ab 1939 vertriebenen und ermordeten Juden und Slawen gewidmet" wäre. Der Breslauer Historiker, der das Willy-Brandt-Zentrum an der Universität Wroclaw (Breslau) leitet und dem wissenschaftlichen Beraterkreises der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" angehört, erinnert daran, dass die Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950 sehr kontrovers wahrgenommen wird. "Für Polen, Tschechen, Slowaken, Russen und Angehörige anderer Nationen, die von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg überfallen, vertrieben und ermordet wurden, stellt das Dokument keine Grundlage für eine Versöhnung dar", schreibt Ruchniewicz.

Weder die Ursachen des Kriegs noch der Völkermord an den Juden kämen darin zur Sprache. Die Autoren und Unterzeichner die Charta, so Ruchniewicz, "waren zu einer solchen Reflexion nicht reif oder wollten die für sie selbst schmerzliche Wahrheit leugnen". Nach der bedingungslosen Kapitulation 1945 hätten die Deutschen "kein Recht auf Rache und Vergeltung" gehabt.

Deshalb konnten sie auch nicht, wie in der Charta geschehen, "feierlich darauf verzichten". Diesen "Verzicht auf Rache" 60 Jahre danach mit einem bundesdeutschen Gedenktag zu ehren, so der Geschichts-Professor, "wäre ein Rückfall in die Zeiten des Kalten Kriegs. Es wäre geschichtspolitisch das völlig falsche Signal."

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 09.02.2011

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