Schwarz-Gelb will Embryonenschutz lockern

Die Union ist laut Informationen der "Welt" dabei, sich von einem weiteren Essential ihrer Programmatik zu verabschieden.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - So wollen Partei- und Fraktionsführung von einem Verbot der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) Abstand nehmen, weil sie dafür keine Mehrheit innerhalb der schwarz-gelben Koalition sehen. Doch der FDP reicht das nicht: Sie dringt sogar auf ein völlig neues "Reproduktionsmedizingesetz", in dem der Schutz von ungeborenem Leben hinter anderen Anliegen zurückstehen würde. Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist eine medizinische Methode, bei der im Reagenzglas erzeugte Embryonen vor ihrer Einpflanzung in den Mutterleib untersucht werden.

Embryonen, bei denen die Ärzte ein erhöhtes Risiko für Erbkrankheiten vermuten, werden dabei aussortiert. In einigen Ländern wird die PID jedoch auch genutzt, um Merkmale, wie etwa das Geschlecht des Kindes, vor Geburt auszuwählen. In Deutschland galt die PID bisher als durch das Embryonenschutzgesetz verboten.

Doch vor drei Monaten kippte der Bundesgerichtshof völlig überraschend diese Rechtsauffassung. Er bestätigte das Landgericht Berlin, das einen Arzt freigesprochen hatte, der PID praktiziert. Die Argumentation: Das Wort "Präimplantationsdiagnostik" komme im Gesetzestext nicht vor, was nicht verboten sei, sei erlaubt.

Um die alte Rechtslage wiederherzustellen, müsste der Bundestag ein sorgfältiger formuliertes Gesetz verabschieden. Doch dazu wird es nicht kommen. In einem "Positionspapier Reproduktionsmedizin", das der "Welt" vorliegt, fordert eine Gruppe von FDP-Abgeordneten um die gesundheitspolitische Sprecherin Ulrike Flach die generelle Zulassung der PID "im Falle von genetischen Krankheitsdispositionen".

Im Klartext: "Verwerfung" des Embryos bei wahrscheinlicher Behinderung. Die rechtliche Grundlage dazu soll ganz neu geschaffen werden. "Wünschenswert wäre eine Regelung im Rahmen eines neuen Reproduktionsgesetzes", heißt es in dem Papier. Gäbe es dafür keine Mehrheit, solle das Embryonenschutzgesetz geändert werden. CDU und CSU haben sich in ihren Grundsatzprogrammen explizit für ein Verbot der PID ausgesprochen. Dennoch signalisieren Unionspolitiker jetzt Kompromissbereitschaft gegenüber der FDP. "In der Politik tragen wir die Verantwortung nicht nur für stramme Forderungen, sondern auch für das Ergebnis eines politischen Prozesses. Wir müssen also Ziele und Risiken bereits im Vorfeld sehr genau abwägen", sagt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe der "Welt". Nach Informationen der Zeitung sondiert Fraktionschef Volker Kauder (CDU) die Möglichkeit eines Kompromisses. Um den Frontalangriff der FDP auf das Embryonenschutzgesetz abzuwehren, denkt Kauder darüber nach, als Alternative eine Veränderung des Gendiagnostikgesetzes anzubieten. Ein Gespräch darüber soll mit dem Koalitionspartner Ende dieses Monats stattfinden. Christdemokratische Abgeordnete haben ihren Fraktionschef hingegen gebeten, eine fraktionsübergreifende Mehrheit gegen PID suchen zu dürfen. Bisher hat Kauder dieser Bitte, die den schwarz-gelben Koalitionsfrieden belasten könnte, noch nicht entsprochen. Damit droht der Union eine Zerreißprobe auf den Parteitagen der CSU (Ende Oktober) und der CDU (Mitte November). Die Spitzenkandidatin der CDU von Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, die der Bundesregierung als Staatssekretärin im Verbraucherschutzministerium angehört und für die Union die wichtige Landtagswahl im kommenden Jahr gewinnen soll, ist eine vehemente Gegnerin der PID. Sie will das Thema auf dem Parteitag zur Sprache bringen. Auch die beiden mitgliederstärksten Vereinigungen innerhalb der Partei, die Senioren-Union und die Junge Union, haben sich klar auf ein PID-Verbot festgelegt. Ihre Vorsitzenden Otto Wulff und Philipp Mißfelder fordern in einer aktuellen gemeinsamen Erklärung: "Experimente mit menschlichen Embryonen sowie auch die Präimplantationsdiagnostik widersprechen unserem christlichen Verständnis von der unveräußerlichen Würde des Menschen." Auch der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU), sieht keine Kompromissmöglichkeit in dieser Grundsatzfrage und spricht von einem Test, wie christlich die CDU noch sei.

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 11.10.2010

Zur Startseite