Theologe Küng wirft Papst Vertuschung der Kirchenkrise vor

Beim Deutschland-Besuch des Papstes besteht nach Ansicht des renommierten Schweizer Theologen Hans Küng, 83, "eine gewaltige Diskrepanz zwischen der Fassade, die aufgebaut wird, und der Realität" der Kirche.

Tübingen (dts Nachrichtenagentur) - "Das kirchliche Leben" sei in vielen Ländern, so Küng im Gespräch mit dem "Spiegel", "auf Gemeindeebene weithin zusammengebrochen." Doch "die kirchliche Hierarchie hat bisher den Mut nicht aufgebracht, ehrlich und ungeschönt zuzugeben, wie die Lage wirklich ist." Angesichts "der Vertuschung des kirchlichen Notstands" lautet Küngs Diagnose, "dass die Kirche krank ist am römischen System".

Die Bilder vom Papst-Event würden eine mächtige Kirche vorgaukeln. "Man weiß inzwischen, dass diese Events für die Gemeinden kaum etwas bringen", warnt der einst enge Weggefährte von Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI. "Wir haben hinterher nicht mehr Gottesdienstbesucher, wir haben nicht mehr Priesteranwärter, wir haben nicht weniger Austritte." Küng kritisiert im "Spiegel"-Gespräch auch einen "Personenkult sondergleichen, der im Widerspruch zu all dem, was im Neuen Testament zu lesen ist" stehe.

"Heute frage ich mich, ob wir nicht in einer Phase der Putinisierung der katholischen Kirche stehen", meint Küng, denn es bestünden strukturelle und politische Ähnlichkeiten zwischen dem russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin und der Restaurationspolitik der Päpste im Vatikan nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das eigentlich eine Erneuerung und ökumenische Verständigung auslöste. "Praktisch haben Ratzinger wie Putin ihre ehemaligen Mitarbeiter in führende Positionen gebracht und andere, die ihnen missliebig waren, kaltgestellt." Und "in diesem System haben Denunzianten wieder Hochkonjunktur. Jeder reformorientierte Pfarrer in Deutschland, auch jeder Bischof, muss Angst haben, dass er in Rom denunziert wird." Die Folge sei, so Küng: "Dass unter dem deutschen Papst sich eine kleine vorwiegend italienische Clique von Jasagern an die Hebel der Macht setzen konnte, die kein Verständnis für Reformforderungen hat."

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 18.09.2011

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