Ver.di-Chef Bsirske kritisiert Wohlfahrtsverbände

Im Streit über das Streikverbot im kirchlichen Arbeitsrecht, den so genannten Dritten Weg, hat der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske, die Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie scharf kritisiert.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - Im Gespräch mit der Zeitung "Die Welt" (Donnerstagausgabe) sagte Bsirske: "Diakonie und Caritas behaupten, sie hätten eigene Souveränitätsrechte, so dass ihre 1,2 Millionen Beschäftigen niemals streiken dürften. Das ist vordemokratisch. Der Dritte Weg ist aus meiner Sicht ein Verfassungsbruch und macht 1,2 Millionen Beschäftige zu Beschäftigten zweiter Klasse."

Bsirske, der das kirchliche Arbeitsrecht zu einem Schwerpunkt-Thema des Ver.di-Kongresses vom 17. bis 20. September machen will, richtete sich gegenüber der "Welt" gegen die Argumentation der Wohlfahrtsverbände, dass die dort zunehmende Leiharbeit und die Ausgründung einzelner Arbeitsbereiche ins Privatgewerbe nur dem Kostendruck im Pflege- und Gesundheitssektor geschuldet seien: "Der Verweis der diakonischen Träger auf die schlechten Refinanzierungsbedingungen zieht nicht", sagte Bsirske. "Denn das Bundessozialgericht hat zuletzt eindeutig entschieden, dass tarifierte Lohnsätze per se wirtschaftlich sind und daher automatisch von den Kassen ersetzt werden müssen. Wer also einen Tarifvertrag hat, hat einen Anspruch auf entsprechende Refinanzierung. Deshalb kann die Diakonie nicht mehr behaupten, sie könne das Lohnniveau von Tarifverträgen nicht refinanzieren." Laut Bsirske wollen "sich diakonische Träger Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Anbietern verschaffen, indem sie sie so tun, als dürften sie darüber befinden, ob Gesetze und verfassungsrechtlich verbürgte Grundrechte wie das Recht auf Tarifverträge oder auf Streiks Anwendung auf die bei ihnen Beschäftigten finden oder nicht". Auf den Streit übers kirchliche Arbeitsrecht reagieren nun auch die Bundestagsfraktionen.

Im Gespräch mit der "Welt" betonte Siegmund Ehrmann, religionspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, dass seine Partei "der Möglichkeit des Dritten Wegs ausdrücklich positiv gegenübersteht". Doch frage sich, "ob der Dritte Weg noch gerechtfertigt ist und ob die Voraussetzungen des Dienstgemeinschaftsprinzips gelebte Realität sind", wenn Leiharbeiter eingesetzt und einzelne Arbeitsbereiche diakonischer Einrichtungen in privatgewerbliche Service-Gesellschaften umgewandelt würden. Der religionspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Stefan Ruppert, sieht einen Widerspruch, wenn die Spitzen von Diakonie und Caritas gegen Lohndumping oder Leiharbeit protestieren, aber dies in den eigenen Verbänden praktizieren würden.

"Eine Trennung zwischen den sozialpolitischen Forderungen der Dachverbände und der arbeitsrechtlichen und tarifrechtlichen Praxis der Träger von Diakonie und Caritas wäre aus Sicht der FDP problematisch", sagte Ruppert der "Welt". Maria Flachsbarth von der CDU ermahnte die Kirchen: "Die Kirchen stellen besondere Ansprüche an sich, das schätzen wir in der Union sehr, und diese Ansprüche müssen die Kirchen auch ernst nehmen", sagte Flachsbarth, setzte aber hinzu: "Fragen zum kirchlichen und diakonischen Arbeitsrecht sind in den Kirchen selbst zu diskutieren." Für die Grünen wiederum kritisierte deren religionspolitischer Sprecher Josef Winkler, dass bei der katholischen Caritas offene Homosexualität und die Wiederverheiratung Geschiedener Kündigungsgründe sein können: "Die katholische Kirche sollte in der Caritas und auch in der verfassten Kirche darauf verzichten, bei ihren Mitarbeitern die Wiederverheiratung nach einer Scheidung als Kündigungsgrund anzusehen", sagte Winkler der "Welt" und fügte hinzu: "In allen kirchlichen Anstellungsverhältnissen, die nicht direkt der Verkündigung dienen, sollte die katholische Kirche die Diskriminierung jener Mitarbeiter beenden, die nicht nach den Ehe- und Sexualvorschriften der Kirche leben." In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wird die Kritik sehr ernst genommen. Der EKD-Beauftragte bei der Bundesregierung, Bernhard Felmberg, sagte der "Welt": "Wir nehmen durchaus zur Kenntnis, dass auch viele den Kirchen durchaus gewogene Politiker in jüngster Zeit deutliche Ausrufezeichen dort gesetzt haben, wo durch Ausgründungen oder Leiharbeit einzelne diakonische Träger das Prinzip der Dienstgemeinschaft infrage gestellt haben. Allerdings ist das Diakonische Werk der EKD entschlossen, solchen Wildwuchs zu beenden." Man müsse aber, so Felmberg, "deutlich sagen: Der Dritte Weg funktioniert in der verfassten Kirche und in der Mehrheit diakonischer Einrichtung außerordentlich gut und wird auch von den kirchlichen Mitarbeitern geschätzt und getragen."

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 08.09.2011

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