Verfassungsrechtler räumen Klagen gegen EZB-Politik kaum Chancen ein

Führende Europa- und Verfassungsrechtler räumen gegenüber der "Welt am Sonntag" der Verfassungsklage gegen die Anleihenaufkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) kaum eine Chance ein.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - "Die Klagen gegen die EZB-Entscheidungen sind ein reiner Verzweiflungsakt der Euro-Gegner", sagte Christoph Schalast, Professor für Europarecht an der Privathochschule Frankfurt School of Finance & Management, der "Welt am Sonntag". Das Bundesverfassungsgericht prüft die Euro-Rettungspolitik der EZB am 11. und 12. Juni. Zwar halten einige Experten die Politik der EZB für rechtlich problematisch.

"Ich halte die Anleihenaufkäufe der EZB für eindeutig kompetenzwidrig", sagt der Europarechtler und frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz der "Welt am Sonntag". Aber die Juristen glauben nicht, dass das Bundesverfassungsgericht der Klage stattgeben wird. "Ich denke, dass sich die Verfassungsrichter scheuen werden, der EZB so gravierende Kompetenzverstöße vorzuwerfen, dass sie nicht nur gegen Europarecht verstoßen, sondern auch gegen deutsches Verfassungsrecht", sagt Helmut Siekmann, Professor für Währungs- und Notenbankrecht an der Uni Frankfurt.

Zumal ein solches Urteil dramatische Auswirkungen hätte. "Mit einer solchen Entscheidung wäre nicht nur die gemeinsame Geldpolitik am Ende, sondern auch die EU insgesamt", sagt der Speyerer Verfassungsrechtler Joachim Wieland. Dazu kommt eine weitere Hürde.

In früheren Entscheidungen hat sich das Verfassungsgericht quasi dazu verpflichtet, keine derart gravierenden Kompetenzverletzungen zu rügen, ohne den Europäischen Gerichtshof (EuGH) einzubinden. "In Karlsruhe hat man sicherlich Hemmungen, den Fall dem EuGH vorzulegen, zumal das Risiko besteht, dass man die Sache dort ganz anders beurteilt und keinerlei Verstoß gegen EU-Recht sieht", sagt Oliver Sauer, Staatsrechtler beim Centrum für Europäische Politik (CEP) in Freiburg. "Die bisherigen Erfahrungen sprechen eher dafür, dass sie den OMT-Beschluss für noch eben zulässig erklären werden, aber die engen Grenzen aufzeigen, bis zu denen die EZB gehen darf", sagt der Frankfurter Professor Siekmann.

Auch sein Speyerer Kollege Wieland erwartet, das das Bundesverfassungsgericht das Programm zwar billigt, aber auch sagt, was die EZB nicht dürfe - nämlich "dass ein Anleihenkaufprogramm eben nur zulässig ist, wenn es der Stabilisierung der Finanzmärkte dient und nicht der Staatsfinanzierung." Damit, so hoffen jene, die die Macht der Notenbanker mit Argwohn sehen, hätte das Verfahren in Karlsruhe doch noch eine Wirkung. "Im Ergebnis werden dadurch die Spielräume für künftige Maßnahmen der EZB deutlich eingeschränkt werden", glaubt Siekmann. So könnte es der EZB schwerer fallen, die eng gefassten Bedingungen des OMT-Programms wieder über den Haufen zu werfen, wenn es die Not eines Krisenlandes geboten erscheinen lässt. Aber auch solche Bedingungen wären für die EZB nicht bindend. "In diesem Fall zeigt sich einmal mehr Macht und Ohnmacht des Bundesverfassungsgerichts", sagt Staatsrechtler Wieland. Es könne eben nicht für sich in Anspruch nehmen, abschließend über Europarecht zu urteilen.

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 02.06.2013

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