Zeitung: Pflegebranche zahlt noch immer weniger Lohn als vorgeschrieben

Gut 100 Tage nach Einführung der Mindestlöhne für Pflegekräfte verstoßen immer noch viele Unternehmen gegen die neue Lohnuntergrenze.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - Darauf hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aufmerksam gemacht. "Arbeitgeber versuchen nach wie vor, den Mindestlohn mit diversen Tricks zu unterlaufen", sagte der für die Branche zuständige Verdi-Gewerkschaftssekretär, Jürgen Wörner, der "Süddeutschen Zeitung". Dies gelte vor allem für Betriebe in Ostdeutschland, die ambulante Dienste anbieten.

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hatte erst diese Woche bei einem Spitzentreffen angeregt, Pflegekräfte besser zu bezahlen. Nach Angaben von Wörner werden Pflegehilfskräfte in den neuen Bundesländern vielfach immer noch mit Löhnen von 5,50 bis 6,50 Euro abgespeist, obwohl seit 1. August dort eine gesetzliche Untergrenze von 7,50 Euro gilt. In Westdeutschland sind Pflegekräfte mit mindestens 8,50 Euro zu bezahlen.

Auf diese beiden Mindestlöhne hatte sich eine Kommission verständigt, in der Verdi, die kirchlichen Träger Diakonie und Caritas sowie private und kommunale Arbeitgeber vertreten waren. Dagegen verstoßen wird laut Verdi besonders häufig in Grenzregionen wie Sachsen und Brandenburg, in denen Jobs rar und die Mitarbeiter womöglich weniger mobil sind. "Hier wird die Notlage von Beschäftigten ausgenutzt", kritisierte Wörner.

Nach den Erkenntnissen von Verdi wird dabei meist nicht direkt ein zu niedriger Lohn gezahlt. Vielmehr versuchten Arbeitgeber mit Rechentricks, eine Bezahlung in Höhe des Mindestlohns auszuweisen, obwohl sie in Wirklichkeit darunter liegt. So würden Arbeitgeber zum Beispiel verbotenerweise Urlaubs- und Weihnachtsgeld zum Stundenlohn dazuschlagen, die Fahrzeiten von Patient zu Patient nicht als Arbeitszeit rechnen oder die Arbeitszeiten so manipulieren, dass am Ende ein höherer Stundenlohn herauskommt.

Betroffen seien davon nur Pflegehilfskräfte. "Bei Fachkräften stellt sich das Problem in der Regel nicht, weil die Bezahlung ohnehin über dem Mindestlohn liegt", sagte Wörner. Thomas Greiner, Vorstandsvorsitzender des Arbeitgeberverbandes Pflege, wies darauf hin, "dass die Landschaft der kleinen, ambulanten Dienste schwer zu überschauen ist". Wenn Verdi Verstöße gegen den Mindestlohn registriert habe, solle die Gewerkschaft "Ross und Reiter nennen", sagte er der SZ. Nach Ansicht von Greiner haben sich die neuen Lohnuntergrenzen bewährt. Der Verbandschef zeigte sich davon überzeugt, dass die Entwicklung des Lohnniveaus in der Pflegebranche wegen des Mangels an Fachkräften und des zunehmenden Personalbedarfs in der Branche "nach oben gehen wird". Die Bundesregierung beziffert die Zahl der Pflegekräfte, die weniger als 7,50 Euro und 8,50 Euro verdienen, auf 13.000 Mitarbeiter im Osten und 60000 im Westen. Basis dafür sind aber Verdienstzahlen aus dem Jahr 2006, außerdem ist nicht für alle der Mindestlohn bindend. Dies geht aus einer Antwort des Arbeitsministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervor. Wie es in dem Schreiben des Ministeriums weiter heißt, wurden im vergangenen Jahr in der Pflegebranche 425 Ordnungswidrigkeitsverfahren und 575 Strafverfahren eingeleitet. Aussagen über die Anzahl von Verstößen gegen die neuen Mindestlöhne ließen sich noch nicht machen. Zuständig für die Überwachung der Arbeitsbedingungen ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), die zur Zollverwaltung gehört. Im Haushalt 2010 sind für die FKS 150 zusätzliche Stellen vorgesehen, um den Mehraufwand bei der Kontrolle der neuen Mindestlöhne in mehreren Branchen auszugleichen. In den Jahren 2012 und 2013 sind nochmals jeweils 100 weitere Stellen eingeplant. In seiner Antwort auf die Grünen-Anfrage räumt das Arbeitsministerium ein, dass Prüfungen in der Pflegebranche in erster Linie "anhand der Geschäftsunterlagen erfolgen". Im Gegensatz zu Geschäftsräumen oder Baustellen sei die Zollverwaltung "nicht befugt, private Haushalte ohne Einverständnis der Berechtigten" bei einer Prüfung zu betreten.

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 09.12.2010

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