Zeitung: Rettungsfonds ESM kann Berliner Milliarden auch ohne Bundestagszustimmung abfordern

Vier Wochen nach der Bundestagsentscheidung zum dauerhaften Rettungsfonds ESM mehren sich die Hinweise auf versteckte Risiken der Euro-Hilfen: Die Kontrollrechte des Bundestags beim ESM sind offenbar doch nicht so umfassend wie von der Bundesregierung angegeben, berichtet die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" unter Berufung auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags.

Berlin (dts Nachrichtenagentur) - Nach der vertraulichen Expertise kann der ESM auch von Deutschland weitere Bareinzahlungen in Milliardenhöhe abrufen, ohne dass dagegen eine Veto-Möglichkeit von deutscher Seite besteht. Dabei geht es um den Fall, dass nach "Operationen" des Rettungsfonds Verluste beim eingezahlten Stammkapital von 80 Milliarden Euro ausgeglichen werden müssen. In diesem Fall könnte das ESM-Direktorium - anders als bei einer Erhöhung des Kapitals oder des Darlehensvolumens - das Kapital mit einfacher Mehrheit von den ESM-Mitgliedsländern abrufen.

Im Gutachten heißt es, dass Deutschland sich dann mit seinem Anteil von 27 Prozent der Stimmrechte "letztlich gegen einen Kapitalabruf nicht sperren könnte". Der vertrauliche Entwurf der Bedingungen für diese Kapitalabrufe sehe für die Zahlungen einen Zeitraum von höchstens zwei Monaten vor, so das Gutachten weiter. Deutschland trägt von den 80 Milliarden Euro Bareinlage einen Anteil von 21,7 Milliarden Euro.

Das von Abgeordneten der Linken angeforderte Rechtsgutachten war vergangene Woche abgeschlossen worden. Linke-Parteichef Bernd Riexinger sagte den Zeitungen: "Die Behauptung, dass Geld nur mit Zustimmung des Bundestags fließt, ist eine Lüge. Deutschland kann sogar gegen den Willen des Parlaments zur Zahlung zweistelliger Milliardenbeträge in die Euro-Kasse verpflichtet werden."

Riexinger warnte, es drohten als Konsequenz aus den Milliardenpflichten Sozialkürzungen in Deutschland. Er zeigte sich zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht den ESM kippen werde. Die Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom 24. Juli ist brisant, weil sie sechs Wochen vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ESM Befürchtungen der Kritiker bestätigt.

Bisher war die Parlamentszustimmung zum ESM auch mit den weit reichenden Mitbestimmungsrechten des Bundestags gerechtfertigt worden. Unterdessen bestätigt das Gutachten auch, dass den Angestellten des ESM nach Entwürfen der Durchführungsbestimmungen hohe Gehälter in Aussicht gestellt werden: So soll der Geschäftsführende Direktor ein Grundgehalt von 324000 Euro im Jahr bekommen, mehr als die Bundeskanzlerin.

Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 31.07.2012

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